Niewisch-Net(t)work: Werke von Reinhard Niewisch (Senior)
Reinhard Niewisch (Senior)

Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will

Gedanken zu den Benzinpreisen und einem geplanten Tankstellen-Boykott - Reinhard Niewisch

»Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.« So haben sie damals gesungen, die Arbeiter, in der Zeit des Frühkapitalismus. Und dann haben sie gestreikt, und die Räder standen still. Aber damit wurde es nicht besser. Im Gegenteil, die Not wurde schlimmer.

Dann kam einer, der versprach dem Volk goldene Zeiten. Und die Leute hörten ihm zu. Adolf Hitler hieß er. Er hatte um sich einen Trupp von Spezialisten geschart, z.B. Goebbels, ein PR-Mann, der spätere Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Aus dieser Sprücheschmiede kamen so markante Worte wie "Keiner soll hungern, keiner soll frieren". Na das war doch was, so hatte ja noch nie ein Politiker gesprochen.

Da kam ein Mann in brauner Uniform zu meinen Großeltern, brachte eine Tüte Haferflocken, und sagte: "Das ist erst der Anfang. Und wir werden dafür sorgen, dass alle Volksgenossen, auch die reichen, mindestens einen Sonntag im Monat ein Eintopfgericht essen - sozusagen aus Solidarität". Mein Opa, der Spaßvogel der Familie, holte alle Töpfe aus dem Schrank und sagte "Eintopp, zweitopp, dreitopp, viertopp - aber die sind alle leer, da muss wat drin sein, damit se nich so klappern". Der braune Mann - er hieß Casimir B. - verließ uns mit den Worten: "Sie werden sehen, warten sie nur ab". Sein Sohn wurde später in unserem Dorf HJ-Führer.

Ein paar Jahre später. In der Zeitung stand eine amtliche Bekanntmachung: »Auf Abschnitt S-1 der Lebensmittelkarte für Dezember wird 1Kg Mehl abgegeben. Verbraucher, deren Lebensmittelkarte durch ein "J" gekennzeichnet ist, sind vom Bezug ausgeschlossen.« Also kein Mehl für die Juden.

Heute, im Jahre 2000 leben nur noch wenige, die wissen was Hunger ist. Wir haben die Trümmer des letzten Krieges weggeräumt. Wir haben neue Häuser gebaut. Wir haben einen demokratischen Staat aufgebaut, von dem unsere Eltern und Großeltern nicht mal träumen durften. Wir geben unseren Kindern Spielzeuge, die das Denkvermögen blockieren. Zu einem normalen Haushalt gehört ein Telefon, ein Computer und ein Auto. Und ein ISDN-Anschluß, damit die Kids nicht beim Chatten gestört werden, wenn wir mal telefonieren wollen. Das kostet natürlich Geld, und dafür ist die Regierung zuständig. Also demonstrieren wir für mehr Geld, mehr Urlaub, weniger Arbeit, längere Schulbildung, früheren Ruhestand bei höherer Rente und so weiter.

Was glaubt ihr wohl, wie lange das noch so weitergeht?

Also kommen wir zum Schluss. Eine Tankstellenblockade kann nichts bringen. Soviel Reserve hat jeder Ölscheich in der Hosentasche. Außerdem ist das Ergebnis insgesamt gleich null. Mehr Aufmerksamkeit im Mathe-Unterricht wäre angebracht.

Reinhard Niewisch, September 2000

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